Der heutige Walliser Bote hat geschrieben:Es fehlt an allem
Ein Trainer, der nicht mehr will. Eine Vereinsführung, die vieles tut, aber nicht führt, und eine Mannschaft, der fundamentale Eigenschaften fehlen. Das Schlimmste: Den FC Sitten umgibt eine Stimmung der Gleichgültigkeit.
Warum spielte Kouassi im defensiven Mittelfeld anstatt in der Innenverteidigung? Warum agierte dort mit Abdellaoui ein gelernter Aussenverteidiger? Warum sass Zock 90 Minuten auf der Bank? Das sind Fragen, die in diesem Text nicht behandelt werden. Weil es nicht entscheidend ist, wo Kouassi oder Abdellaoui derzeit spielen oder warum Zock gar nicht spielt. Der Sittener Mannschaft fehlt es an Grundsätzlichem: an Willen, an Leadership und einer Hierarchie. Stéphane Henchoz bestätigte diesen Eindruck nach Spielschluss: «Wir hatten zu wenig Charakter und Typen auf dem Feld.»
Gerade die Reaktion nach dem ersten Gegentor war bedenklich. Da war kein Aufbäumen, keine Mentalität, keine Emotionen. Und Henchoz sagte: «Wir hatten nach dem 0:1 eine Körpersprache wie nach einem Gegentor in der letzten Minute. Dabei waren noch 35 Minuten zu spielen.» Womit wir beim Trainer wären, der seine Mannschaft in seiner Analyse nicht schonte und 14 Stunden nach diesen Aussagen von sich aus zurücktrat. Ein Trainer, der unter der Woche durch die Ernennung von Christian Zermatten zu seinem «Helfer» öffentlich blossgestellt wurde.
Diese Blossstellung fand ihre Fortsetzung in St. Gallen, wo der Präsident auf der Sittener Spielerbank Platz nahm. Es ist stupendes Kalkül des Präsidenten. Henchoz ist schlau und stolz genug, um einzusehen, dass er beim FC Sitten an Grenzen stösst, und ist seinem Präsidenten zuvorgekommen. Er verzichtet dabei auf viel Geld, verhindert aber ein juristisches Nachspiel. Der FC Sitten liess gestern auf seiner Website verlauten, dass man sich Zeit nehmen werde, den Trainer-Staff neu zu organisieren. Und man sprach davon, dass die Trennung im Guten geschieht. Das mag nach aussen so sein, erschien nach den Ereignissen der letzten Tage aber fast schon höhnisch. Gut möglich, dass CC-Soldat Christian Zermatten die Mannschaft in der kommenden Woche und im Spiel in Zürich betreuen wird.
Beim Trainerposten muss man sich ähnliche Fragen stellen wie bei der Mannschaft: Spielt es eigentlich eine Rolle, wer ihn in diesem Verein besetzt? Macht es wirklich einen Unterschied, ob Stéphane Henchoz an der Linie steht, ob es nach der Länderspiel-Pause Fabio Celestini sein wird oder ob sonst jemand die Verantwortung übernimmt? Die Leistungen auf dem Feld ähneln derzeit der Vereinsführung: Sie sind konzeptlos, uninspiriert und wenig durchdacht. Und mittendrin jeweils ein Trainer, der sich mit so vielen Nebenschauplätzen konfrontiert sieht, dass das Kerngeschäft darunter leidet.
Leiden tut auch die Stimmung rund um den FC Sitten. Der Verein löste bei vielen Menschen über die letzten Jahre selten Freude und sehr oft Ärger aus. Doch mittlerweile ist bei weiten Teilen der Fans und Beobachtern eine andere Stimmung zu spüren: eine Stimmung der Gleichgültigkeit. Es ist Mode geworden, ironisch über den FC Sitten zu sprechen. Etwas Schlimmeres kann einem Fussballverein eigentlich nicht passieren. Ein Fussballverein, in dem es um viel geht, aber viel zu selten um Fussball. Einzelne Ausreisser nach oben wie die Siegesserie im September oder schöne Stunden in einem Cupfinal sind dank individueller Klasse und der biederen Konkurrenz immer wieder möglich – im Gegensatz zu nachhaltigem Erfolg.
Womit wir beim FC St. Gallen wären, der zurzeit all das hat, was Sitten fehlt: Kontinuität auf den Führungspositionen, Ruhe im Umfeld und eine funktionierende Mannschaft. Peter Zeidler steht hier seit Sommer 2018 in der Verantwortung, hatte in der Vorsaison schwierige Phasen, wurde von der Vereinsführung um Matthias Hüppi und Alain Sutter aber öffentlich gestützt. Man bewahrte Ruhe, hatte Vertrauen in seine Arbeit. Das Resultat: Der Deutsche bereichert in diesem Herbst mit seiner jungen, willigen, aufregenden, aber nicht hoch dotierten Mannschaft die Liga. Peter Zeidler war einst Trainer des FC Sitten, hatte Ähnliches im Sinn und wurde dann auf Rang 3 und nach der Qualifikation für den Cupfinal entlassen. Wer tut sich den FC Sitten als Nächster an?
Eigentlich nichts Neues - trotzdem prima auf den Punkt gebracht.